In der Gompa treffen wir einen etwa 50jährigen Mann wieder, der uns schon in Kodari, an der Grenze zwischen Nepal und Tibet aufgefallen war. Damals in der Hitze trug er das gleiche wie jetzt bei Minusgraden: Einen Mantel mit nach innen gekehrtem Fell, das die Tibeter Chuba nennen, eine Art lange Unterhose und Halbschuhe ohne Socken. Einen Mala, die tibetische Version eines Rosenkranzes, liegt wie angeklebt auf seinem Kopf. Als ihm jemand Handschuhe für den Dolma La Pass schenken will, lehnt er dies mit der Begründung ab, dass die Handschuhe ihn beim Zählen der Perlen des Mala stören würden. Einmal bekommt er gut aussehenden Reis mit Gemüse vorgesetzt. Er starrt die Schüssel an, wie etwas, das er noch nie gesehen hat. Dann verlangt er Tsampa, das Gerstenmehl und leckt es ohne es mit Buttertee zu mischen aus der Schüssel. Er hat einen Rucksack dabei, wie er wahrscheinlich seit Jahrhunderten in seiner Region gefertigt wird: Zwei U-förmig gebogene Hölzer mit der Öffnung nach unten, die mit Leder verspannt sind. Der Rucksack ist in der Lage auf den vier Beinen der beiden „U“ zu stehen. Zwischen den „U“ und den Lederverspannungen ist Raum für seine zwei Säckchen. Darin kann ich ausschließlich Butterlampen erkennen, die als Opfergaben dienen. Wenn er noch Reiseutensilien dabei hat, dann können diese nicht viel Raum einnehmen. Er ist stets freundlich. Er spricht kein Wort Englisch. Als einziges bekomme ich heraus, dass er aus der Region Mustang in Nepal kommt, die stark tibetisch beeinflusst ist. Den Weg von der Grenze bis hierher nördlich des Kailasch hat er auf mir unbekannte Weise genauso schnell zurückgelegt wie wir mit dem Jeep. Er wird wahrscheinlich Busse oder Trucks benutzt haben und in den Klöstern übernachtet haben. Zwar geht er die Kora nicht an einem einzigen Tag wie viele Tibeter. Aber er hat viel zu tun. Den Nachmittag sitzt er in der Grotte des Klosters und vollzieht religiöse Rituale. Er spritzt rotes Wasser an die Klostermauern und zündet Butterlampen an.
Am nächsten Morgen noch in der Dämmerung sehe ich ihn im Schnee mit seinem historischen Rucksack in Richtung Dolma La Pass aufbrechen.
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